Gedanken zur Denkmalpflege heute

Undenkbar, ein Frevel am deutschen Kulturgut. Ginge es nach den Denkmalschützern, gäbe es weder eine Glaskuppel auf dem Reichstag zu Berlin, noch die Bürotürme der Banken in der City von Frankfurt. Zu beidem kann man ja verschiedener Ansicht sein, die Architekturkritiker sind es auch, doch mit der Denkmalpflege hat beides nichts zu tun.

 

Hätte es zur Zeit des Barock bereits Denkmalschützer gegeben, könnten wir uns heute weder am Zwinger in Dresden noch am alten Prag erfreuen.

 

Mit einer bis dahin unbekannten Radikalität setzte sich August der Starke als gelernter Baumeister durch und befahl, ohne Anhörung der Träger öffentlicher Bedenken, den Abriß der Dresdner Altstadt, einem Gemenge aus Fachwerkbauten der Renaissance und des Mittelalters, Bauten, die nicht mehr paßten zum neu gewonnen Reichtum, die auch nicht mehr dem Stand der Technik und der Baukunst entsprachen. Kein Gebäude sollte mehr aus Holz gebaut sein, zugelassen wurde nur noch Stein. Heute stehen wir ehrfurchtsvoll vor den Zeugnissen der Geschichte des Barock und vermissen nichts.

 

Das Schloß in Pillnitz in Dresden, zusammengewürfelt aus korinthischen Säulen und japanischer Porzellanmalerei, aus asiatischen Pagodendächern und mittelalterlichen Fledermausgaupen, lockt jährlich Tausende von Besuchern an. Selbstredend steht das Gebäude unter Denkmalschutz. Würde ein Architekt heute mit denselben Stilmitteln ein Haus entwerfen, wäre er schnell im Verruf Kitsch zu produzieren, unter Denkmalschutz würde sein Gebäude aber sicher nicht gestellt werden.

 

Gab es zu allen Zeiten den, mehr oder minder abgesprochenen, Grundkonsens in der Gesellschaft, bei Architekten, Baumeistern, Stadtplanern und Politiker, daß ein neues Gebäude im jeweils herrschenden Stil, manchmal auch nur innerhalb einer gerade geltenden Mode, errichtet werden sollte, mit Konstruktionen, die dem jeweiligen Stand der Technik entsprachen, so darf der heutige Architekt mit diesem Standpunkt nur noch im  Neubaugebiet, meist aber auch nur sehr eingeschränkt im Rahmen des geltenden Bebauungsplanes, entwerfen. Ist der Architekt prominent, hat er Visionen und gute Freunde in der Politik, darf er auch im Rahmen eines denkmalgeschützten Ensembles seine umstrittenen Ideen verwirklichen. Ist er nicht berühmt, muß er seine Bauwerke in Gestalt, Fassadengliederung und Farbgebung dem Denkmalschutz vorlegen und sich gefallen lassen, daß sein Entwurf überarbeitet wird, weil neben seinem Neubau ein kleines Fachwerkhäuschen steht.

 

Der Wunsch ein Denkmal und eine seltene Kröte zu schützen, entspringt dem selben schlechten Gewissen, etwas ungeschehen machen zu wollen, was wir oder andere vor uns zerstört haben.

 

Um 1900 herum begann die Theorie der Denkmalpflege sich zu entwickeln. Damals bereits gab es Streitschriften. Es ging dabei z.B. bei Georg Dehio und Alois Riegel um die Frage, ob Denkmale konserviert oder restauriert werden sollen. Eine Diskussion, die die Denkmalschützer in den unteren Bauaufsichtsbehörden hierzulande kaum interessiert.

 

Unterschied Alois Riegel den Denkmalkultus noch nach Alterswert, historischem Wert und gewolltem Erinnerungswert, unterscheidet der heutige Denkmalschützer nicht mehr, er pflegt nicht mehr, sonder stellt sich schützend vor das Bauwerk oder städtebauliche Ensemble. Er beurteilt meist sehr subjektiv nach Maßstäben, die bestenfalls im Bereich der Architekturästhetik,  anzusiedeln sind, also mit dem Denkmalschutzbegriff gar nichts zu tun haben.

 

Wir stehen vor einem Konflikt, den Riegel so beschreibt:

 

 „ Auf der einen Seite sehen wir die Wertschätzung des Alten um seiner selbst willen, die alles Erneuern des Alten grundsätzlich verdammt, auf der anderen die Wertschätzung des Neuen um seiner selbst willen, die alle Altersspuren als störend und mißfällig zu beseitigen trachtet.“

 

Gelöst wir dieser Konflikt heutzutage mittels des Historismus, also jenes Stils, der wie die Postmoderne, eigentlich gar keiner ist, sondern lediglich aus allen Stilen Wohlgefälliges übernimmt und nach eigenem Gutdünken neu zusammenfügt. Hat man Humor kann man damit tatsächlich noch Spektakuläres erschaffen.

 

James Sterling hatte diesen Humor, als er die neue Stuttgarter Staatsgalerie erbaute. Hier ein Bauhausbalkon vom Weissenhof, da ein griechisches Portal in Stahl, dort eine barocke Balustrade und ab und zu Steine am Boden liegend, aus der Fassade herausgefallen, etwas Dekonstruktivismus der Neuzeit.

 

Georg Dehio schreibt in „Denkmalschutz und Denkmalpflege im neunzehnten Jahrhundert“, daß der Historismus des 19. Jahrhunderts aber außer seiner echten Tochter, der Denkmalpflege, auch ein illegitimes Kind gezeugt hätte, das Restaurationswesen. Beides würde miteinander verwechselt werden. Die Denkmalpflege will Bestehendes erhalten, die Restauration will Nichtbestehendes wiederherstellen, schreibt er und kommt zu dem, für heutige Denkmalpfleger und Architekten, verblüffenden Schluß, daß man eben nur konservieren kann, was noch ist, was vergangen ist aber nicht wiederkehrt.

 

 „Nichts ist berechtigter gewiß als Trauer und Zorn über ein zerstörtes Kunstwerk, aber wir stehen hier einer Tatsache gegenüber, die wir hinnehmen müssen, wie die Tatsache von Alter und Tod überhaupt. In Täuschungen Trost suchen wollen wir nicht. Mitten unter die Wirklichkeit Masken und Gespenster sich mischen sehen, erfüllt mit Grauen - eine unechte Ahnengalerie.“ Wie wahr und modern dieser Begriff der Denkmalpflege von Georg Dehio. Heute, hundert Jahre später, wäre es angebracht darüber nachzudenken.

 

Ist es nicht grotesk, wenn Neubauten durch das Amt für Denkmalpflege beurteilt werden? Wäre jedes Werk eines Architekten, so grandios und für zukünftige Generationen als schützenswertes Kulturgut gedacht, wir hätten Verständnis dafür.

 

Die Denkmalpflege ist gut beraten, schon allein aus Gründen der Konzentration auf Wichtiges, sich ausschließlich um Kulturdenkmale zu kümmern und Neubauten den Stadtplanungsämtern zu überlassen, zumal dort meist mehr Sachverstand in Bezug auf Architektur vorhanden ist.

 

Gut beraten sind aber auch die Architekten, die kein Machtvakuum zulassen, in das die Denkmalpflege schlüpfen kann. Mutig die Ideen umsetzen, Lobbyarbeit leisten und mit Sachverstand, auch kunsthistorischem, das Gebäude entwerfen und dem Stand der Technik und der heutigen Baukunst, bauschadensfrei erstellen.

 

Ein Gebäude ist dann gelungen, wenn es fest, nützlich und schön ist, sagte schon der alte römische Baumeister Vitruv, ein Denkmal muß es deshalb noch lange nicht sein.

 

Autor: Claus Krüger